Unsere Jugend ist in eine Selbstdarstellungsgesellschaft hineingeboren worden. Sich selbst als spektakuläres und gleichzeitig für den Massengeschmack anschlussfähiges Objekt zu formieren und öffentlich zu inszenieren, gehört heute vielleicht zur wichtigsten Eigenschaft des postmodernen Menschen. Die Bühne der Selbstdarstellung ist neben dem „Real Life“ die digitale Welt. Auf Plattformen wie Instagram, TikTok und Snapchat ist ein wütender Wettbewerb um die größte Fangemeinde entstanden. Die Anzahl der User und Besucher ist die wichtigste Währung der sogenannten Aufmerksamkeitskultur. In der Aufmerksamkeitskultur ist Beachtet-Werden und Bekanntheit alles. Die berühmtesten Leute der Onlinewelt können von der Selbstvermarktung ihrer Person gut leben oder durch sie sogar reich werden.
Die Pflicht zur Selbstdarstellung
Karl Marx sagte über die formale Freiheit in der kapitalistischen Gesellschaft, die einfachen Menschen hätten mit ihr vor allem die zweifelhafte Freiheit gewonnen, sich selbst am Arbeitsmarkt als Ware feilzubieten. In der Postmoderne ist zur Freiheit, sich den Gesetzen des Arbeitsmarktes unterwerfen zu dürfen, die Pflicht zur Selbstvermarktung in der Freizeit dazugekommen. Die Missachtung dieser Pflicht kann zum sozialen Untergang führen. Denn wer heute glaubt, dass ein klassisches Biedermeier-Leben, dessen höchste Erfüllung die Abgrenzung von der Öffentlichkeit durch den Rückzug ins Private ist, noch zum Erwerb von Anerkennung und Ansehen ausreicht, der hat sich getäuscht. Man ist dann ohne Zweifel Nonkonformist, gilt aber gleichzeitig als seltsam und schrullig und wird demzufolge auf das Abstellgleis geschoben. Von Urlaubsreisen, intimen Abendessen im Restaurant und dem Workout im Fitness-Studio bis hin zur privaten Wohnsphäre und persönlichen sexuellen Vorlieben muss alles öffentlich gemacht werden, will man Aufmerksamkeit erregen und Imagepunkte sammeln. Folge ist, dass sich die Menschen entblößen, ohne dass äußerer Zwang auf sie ausgeübt wird. Was man im Biedermeier schamhaft verborgen hielt, das wird heute lustvoll vor aller Augen hergezeigt, die Intimsphäre und der entblößte Leib.
Anpassung: Der Like schließt jede Revolution aus