Unlängst ist mir eine Anekdote über Sigmund Freud untergekommen. Die geht so: Freud wurde einmal gebeten, den Unterschied zwischen einer Neurose und einer Psychose in volkstümlicher Art zu erklären. Dazu ließ er sich folgende Geschichte einfallen. Eine Frau steht am Totenbett ihrer Schwester. Sie ist in den Mann der Schwester unsterblich verliebt. Kurz denkt sie: “Jetzt ist der Weg frei. Ich hole mir den Mann.“ Schnell aber verdrängt sie den Gedanken. Er erscheint ihr geschmacklos. Sie versenkt deshalb die ungehörige Idee in den tiefsten Tiefen ihres Es. Das wäre neurotisch. Psychotisch hingegen ist Folgendes. Die Frau steht am Totenbett ihrer Schwester. Das Begehren nach dem Mann der Schwester ergreift sie. Um dem pietätlosen Drang zu entkommen, redet sie sich ein, dass ihre Schwester gar nicht tot ist. Ihr unstatthafter Wunsch ist damit gar nicht realisierbar. Und schon ist sie das Problem los. Das wäre nach Freud psychotisch. Psychotische Menschen erfinden sich eine eigene Realität, weil sie damit zum Beispiel, wie in dem geschilderten Fall, einem moralischen Widerspruch oder einer unerträglichen Spannungssituation entkommen.