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gegen den zeitgeist
Veröffentlicht: 19.09.2023

Im Jahr 2012 schrieb Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Lob der Grenze“ folgenden denkwürdigen Satz: „Wer immer seine Interessen durchsetzen will, macht dies gegenwärtig mit der Drohgebärde, dass anderenfalls die Zukunftsfähigkeit – des Landes, der Wirtschaft, seiner Partei – gefährdet sei.“ Den Grund dafür sieht Liessmann in einer Kultur, in der sofort unter Verdacht gerät, was zu lange existiert.

Die Gegenwart gilt, kaum ist sie geworden, schon wieder als abgestanden, abgelebt, veraltet. Das Alte ist wie ein verdorbenes Lebensmittel, es muss so schnell wie möglich entsorgt werden. Gleichermaßen suspekt ist der alte Mensch. Weil er dem Fortschritt bloß im Weg steht, muss er in der totalen Institution des Altenheims verräumt werden. Das zeitgemäße und für den Profit zweckmäßige Neue muss das Alte ersetzen, damit die zerstörerisch hyperventilierende Profitmaschine auf erweiterter Stufenleiter weiterläuft. Liessmann: „Durchsetzt von den Flecken einer Vergangenheit – veraltete Technologien, veraltete Konzepte, veraltete Ideen – darf die Gegenwart nicht bei sich sein.“ Traditionelles, Gewachsenes, Gewohntes, Erprobtes, alles das, was Menschen Sicherheit, Geborgenheit und das gute Gefühl des Aufgehobenseins im Vertrauten gibt, wird weggeräumt, das Neue ist der moderne Gott. Es tritt an die Stelle des überlieferten Gottes, den wir „getötet“ haben (Nietzsche).

Der erzwungene, ständige, unnatürliche Wandel versetzt die Gesellschaft in einen desorientierten Taumel, der eine allgemeine Sinnes- und Gedankenverwirrtheit auslöst. Mehr denn je haben die Menschen heute das Gefühl, das entrhythmisierte und hyperfluide Geschehen um sie herum nicht mehr verstehen oder gar kontrollieren zu können. Die Folge ist der Rückzug ins Private, ins Regionale, in den kleinteiligen Mikrokosmos der Intimität. Aber Gott gnade dem, der diesen neuen Konservativismus und Privatismus empirisch erforscht und thematisiert. Über ihn fallen die unreflektiert fortschrittswütigen Supermodernisten der Mainstreammedien her und packen die Todesetiketten „Barbie-Studie“, reaktionär, konservativ oder gar den atomaren Super-Booster „rääächts“ aus. Vor allem das Regionale, Dörfliche, Gemeinschaftliche, das vielen Menschen die letzte Stütze ist, gerät nun immer mehr ins Visier der Wortführer einer desavouierten Urbanität, die ästhetisch unansehnlich, unsicher, risikobehaftet, gesundheitsgefährdend und sündhaft teuer geworden ist und in der sich die Reichen in eigene Nobelbezirke zurückgezogen haben, während Mittel- und Unterschichten in den Flächenbezirken die bunte Welt der multikulturellen Vielfalt exklusiv „genießen“ dürfen.